9. Sonntag im Jahreskreis A 2002
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Die katholische Predigtsammlung von Pfarrer Poschenrieder
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9. Sonntag im Jahreskreis 2002 A

Messtexte | Word-Dokument

Stellen wir uns ein kleines, enges Zollhäuschen vor, davor eine heruntergelassene Schranke, die eine staubige Straße unterbricht. Neben dem Häuschen steht eine einfache Holzbank, auf der Matthäus sitzt. Etwas gelangweilt und missmutig schaut er vor sich hin. Es ist kein besonders anstrengender Beruf, den er ausübt, er muss nicht wie viele andere schwere körperliche Arbeiten verrichten. An das Unangenehme hat sich Matthäus längst gewöhnt: Wer tagtäglich die vorbeifahrenden Händler und Reisenden zur Kasse bitten muss, dem wird es irgendwann gleichgültig, ob ein böses Wort fällt oder ein verächtlicher Blick ihn trifft.

Matthäus hat viel Zeit, seinen Gedanken nachzugehen. In diesen Wochen sind ohnehin nicht so viele unterwegs. Seine Kollegen nerven ihn. Sollen die ruhig drinnen sitzen, Karten spielen und herumprahlen, wer welchen Reisenden wieder nach allen Regeln der Kunst ausgenommen hat. Ihm ist es drinnen ohnehin zu eng und zu stickig geworden. Da sitzt er lieber auf der Bank und schaut auf die staubige Straße. Nein, er will sich nicht beschweren, er könnte es schlimmer haben. Man muss zufrieden sein.

Trotzdem: Wenn Matthäus ehrlich ist, ist er unzufrieden. Er fühlt und weiß es, aber er gibt es ungern zu. Unzufrieden mit seinem Beruf, in dem es nur ums Geld geht, ein dreckiges Geschäft, die Leute übers Ohr zu hauen und für die verhassten Römer zu arbeiten. Unzufrieden mit seinem Freundes- und Bekanntenkreis. Unzufrieden mit seinem Leben, das sich vielfach nur ums Geld dreht.

Matthäus denkt zurück. Eigentlich hätte er Tempeldiener werden sollen. Er hatte mal frommere Zeiten. Manche, die um seine Vergangenheit wissen, machen sich daraus ein boshaftes Vergnügen, ziehen ihn damit auf und reden ihn mit Levi an. Ein Levit, einer aus dem besonders gottesfürchtigen Stamm der Leviten, gerade so einer sitzt am Zoll. Matthäus hat Lesen und Schreiben gelernt, das Gesetz studiert, sich mit jüdischen Bräuchen beschäftigt. Er kennt sich aus, bis ins kleinste Detail.

Er weiß auch Bescheid, wie sie wirklich leben, die Pharisäer, die Schriftgelehrten, die Frommen und Gottesfürchtigen: Was sie sagen, das kann man ja durchaus befolgen. Nur was sie tun, da sollte man besser nicht hinschauen. Von den Menschen erwarten sie Gottesfurcht und Gesetzestreue, aber selbst machen sie keinen Finger krumm. Am liebsten sitzen sie auf den Ehrenplätzen und in den Synagogen in der ersten Reihe. Wie gerne lassen sie sich auf den Marktplätzen blicken und als wichtige Persönlichkeit begrüßen. Matthäus ist ärgerlich, wenn er daran denkt. Er hat es damals mit dem Glauben ernst gemeint. Hat hohe Ideale gehabt. Aber die Wirklichkeit hat ihn abgestoßen. Da sitzt er lieber am Zoll und bittet die Leute zur Kasse.

Liebe Brüder und Schwestern! Ich habe die Situation ein bisschen ausgeschmückt. Matthäus selbst schreibt über seine Berufung kurz und bündig. Im Bewusstsein, dass er ein Zöllner ist und die Pharisäer die Sünder und Zöllner oft in einen Topf werfen, schildert er nüchtern und ohne viele Worte zu verlieren, wie Jesus sich verhält. Jesus sieht ihn und sagt zu ihm: »Folge mir nach! Da steht Matthäus auf und folgt ihm.« Ohne Diskussion, ohne Verhandlungen, ohne Bedenkzeit.

Was mag sich Matthäus wohl gedacht haben, als Jesus da vor ihm stand. Er traute wohl seinen Ohren nicht. Lange aber hat er nicht überlegt. Er musste sich entscheiden. Die Freude war sicherlich übergroß, dass er, ein Zöllner, angesprochen wurde; er, der mit seinem Leben sowieso nicht ganz zufrieden war. Jetzt heißt es nicht lange zögern. Jetzt heißt es dem Ruf folgen. Wenn der Ruf an einen ergeht, darf man nicht lange warten, sondern muss handeln, muss aufstehen, muss Jesus folgen.

Dieser eine Satz »Folge mir nach!« war der Schlussstrich unter seinen langen Überlegungen. Denn irgendetwas musste sich ändern, etwas, das mit Geld nicht zu bezahlen war.

Wenn wir Jesu Handeln betrachten, ist es aus der Sicht der Pharisäer unverständlich, wie er sich benimmt. Da beruft er sich Jünger, die seine frohe Botschaft weitersagen sollen. Er sucht dafür nicht die Qualifiziertesten und Frömmsten aus – die Schriftgelehrten – sondern er umgibt sich mit Fischern vom See Genesaret und beruft einen Zöllner, der die Leute ausnimmt und dazu noch im Dienst der ausländischen Besatzer steht.

Und dann isst er auch noch mit ihnen. Viele andere Zöllner und Sünder kommen dazu. Haben die überhaupt die Reinheitsriten beachtet? Jesus hört nicht auf das Gerede anderer Leute und lässt sich dadurch nicht umstimmen. Nein, er ist auch zu den Sündern gesandt worden. Er geht zu ihnen, um sie zurückzuholen, um sie zu rufen.

Es ist nie zu spät zur Umkehr, solange wir hier auf Erden leben. Ganz deutlich spüren wir hier wieder die Sünderliebe Jesu. Die Kranken, die Sünder sollen spüren, dass Gott sie will und dass er sie liebt. Das gilt allen Ausgestoßenen, den Hungrigen, den Aussätzigen, den Dirnen, der Samariterin, dem Verbrecher neben ihm am Kreuz. Jesus verzeiht bis in den Tod. Und die Menschen scheinen es zu spüren. Sie kommen zu ihm, kehren um, bereuen ihre Sünden, fühlen sich neu angenommen und glauben an ihn.

Von Matthäus können wir lernen, ohne Zögern auf den Ruf Gottes zu hören und diesem zu folgen. Von Jesus lernen wir seine Barmherzigkeit und seine Liebe zu den Sündern. Wie erklärt sich diese unendliche Milde seines Herzens gegen uns?

Es ist das Herz des guten Hirten und des Arztes, der die menschliche Schwäche kennt. Wo andere Herzen versteinern oder sich verbittert vor den Menschen verschließen, da wird sein Herz groß und weit. Jesus sieht das Ewige im Menschen, er sieht die unsterbliche Seele, die unendlich wertvoll ist, die er retten will, und dann geht er dem verirrten Schaf nach als der gute Hirt und darum geht er dem verlorenen Sohn nach als barmherziger Vater. Amen.


© Pfarrer Christian Poschenrieder 2024